Akte X - Die unheimlichen Fälle des FBI 4x02 (2024)

In der äußerst verstörenden Episode Home geht es für Scully und Mulder weit raus aufs Land. Dort warten weder Aliens noch übernatürliche Monster auf sie, sondern etwas viel, viel schlimmeres. FOX war diese X-Files-Folge zu heikel.

Home ist keine normale X-Akte. „Home“ ist eine verstörende Stunde Fernsehen, die es damals irgendwie an den Zensoren vorbeigeschafft hatte und erst nach der ersten Ausstrahlung von FOX aus dem Programm verbannt wurde. Sie ist auch die erste Folge von The X-Files, die mit dem TV-MA-Rating (nicht für Kinder unter 17 Jahren geeignet) versehen wurde.

Home Sweet Home

Schon die Einstiegsszene vor den Opening-Credits gehört zum Grausigsten, was die Serie je zu bieten hatte. Eine Frau bringt ein deformiertes Baby zur Welt, welches anschließend von drei ebenfalls nicht ganz gesund aussehenden Männern im Regen vergraben wird. Wer sich in den ersten Minuten von „Home“ bereits an „The Texas Chainsaw Massacre“ oder „The Hills Have Eyes“ erinnert fühlt, liegt goldrichtig. Und es wird nicht schöner von hier an.

Die Kinderleiche wird bald darauf von ein paar Jungs beim Baseballspielen entdeckt. Wir sehen, wie Blut aus dem Boden quillt, obwohl es nach dem Tod eigentlich sehr schnell gerinnt und der Boden nach dem Regen längst wieder trocken ist. Aber wir wollen mal nicht so kleinlich sein. Filme wie Burtons „Sleepy Hollow“ (zugegeben, ein eher comichafteres Gruselfilmchen), in denen Leichen lange nach dem Tod exhumiert werden und noch immer Fontänen von Blut von sich geben, haben diesen „Fehler“ viel gravierender begangen.

Der Fund im ländlichen Home, Pennsylvania ruft das FBI auf den Plan, worauf glücklicherweise noch weiter eingegangen wird. Sheriff Andy Taylor (Tucker Smallwood) hatte sich aufgrund des deformierten Wesens mit dem FBI in Verbindung gesetzt. Ob das so einen Fall aber gleich an ihren UFO- und Monster-Experten weiterleiten würde, halte ich jedoch für fraglich. Mulder (David Duchovny) gibt sich interessanterweise als jemand, der eine romantisierte Vorstellung vom Landleben hat und am liebsten aus der Großstadt flüchten würde. Etwas, das Scully (Gillian Anderson) und die Episode selbst ihm gehörig um die Ohren hauen. Die Folge stellt somit eine Antithese zu der in den 90er-Jahren oft vertretene Aussage, der Back-To-Nature-Ansatz sei der richtige Weg. Zwei Jahre später wollte uns etwa ein anderes Sci-Fi-Franchise in „Star Trek: Insurrection“ auf hanebüchene Weise davon überzeugen.

Mulder und Scully schlagen vor, die Familie Peaco*ck zu befragen, deren seit dem Amerikanischen Bürgerkrieg bestehendes Gruselhaus direkt neben dem Fundort liegt. Sheriff Taylor, der ebenfalls an dem Erhalt alter Werte in seiner heilen Welt interessiert ist, klärt die Agenten darüber auf, dass dies keine gute Idee sei. Drei Brüder sollen noch in dem Anwesen leben. Diese wurden seit Jahren kaum gesehen, seit die Eltern mutmaßlich bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen sind. Taylor sieht den Fall als Symptom der über die Kleinstadt hereinbrechende Veränderung durch kulturellen Wandel, ohne zu erkennen, dass es gerade die pervertierten Werte sind, die seit Jahren unter seiner Nase walten, welche diese Tragödie hervorgebracht haben.

Selbst Scully ist geschockt, als sie in einem kleinen Abstellraum im Sheriff's Department eine rudimentäre Obduktion vornimmt und einen ganzen Haufen Geburtsdefekte feststellt - vermutlich hervorgerufen durch Inzest. Diese seien dennoch nicht die Todesursache gewesen, sondern die Erstickung im Erdboden. In einem anschließenden Gespräch mit Mulder bringt sie ihre Muttergefühle zum Ausdruck, was spätere Ereignisse der Serie vorausnimmt. Scully ist nämlich, ohne es zu wissen, bereits Mutter, wie wir in der Episode Emily (2) in der fünften Staffel erfahren werden. In den späteren Staffeln steht ihr anderes Kind, Space-Jesus William, verstärkt im Mittelpunkt. Mulder versucht die Szene aufzulockern, indem er anmerkt, bei ihm in der Familie sei genetisch alles in Ordnung - bis auf schlechte Augen und die Tendenz, von Außerirdischen entführt zu werden.

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The hills have eyes. © FOX

Es liegt zunächst die Vermutung nahe, dass die Peaco*ck-Brüder eine Frau entführt haben und bei sich gefangen halten. Dass es sich dabei tatsächlich um die noch lebendige Mrs. Peaco*ck (Karin Konoval) handelt, wird zwar als Twist bis zum Ende der Episode aufgehoben, ist allerdings durch wiederholte Erwähnung der Eltern irgendwann sehr offensichtlich. Das schwächt jedoch nicht den schockierenden Effekt der Auflösung. Zu ahnen, wo die Episode tatsächlich hinsteuert, macht es vielleicht sogar noch ein bisschen schlimmer. Während Scully und Mulder das Haus der Familie in Augenschein nehmen, bekommen wir eine erste Vorschau auf die Frau, deren Augen unbemerkt im Dunkeln lauern. Alptraummaterial!

In der folgenden Nacht überdenkt Mulder angesichts des schlechten Fernsehempfangs seine Landfluchtpläne, doch einem anderen Ermittler ergeht es noch viel schlechter: In einer verstörenden Szene, die vom fröhlichen Song „Wonderful! Wonderful!“ begleitet wird, brechen die Peaco*cks bei Sheriff Taylor ein und schlagen ihn uns seine Frau (Judith Maxie) zu Tode. Ironischerweise wurde ihm das Vertrauen in die anständigen Leute der Kleinstadt, in der es nicht nötig ist, die Tür zu verschließen, zum Verhängnis. Interessant ist auch, wie für Mrs. Taylor der Platz unterm Bett zum Ort des Schutzes werden soll. Ein Spiegelbild dessen findet sich am Ende der Episode.

They are such good boys

Leicht übernatürliche (oder zumindest biologisch unwahrscheinliche) Züge nimmt die Folge an, als endlich die DNS-Analyse eintrudelt, die Scully zunächst für verpfuscht hält. Mulder (wer sonst?) bietet alternativ die Erklärung an, das tote Baby sei aus einer gemeinsamen Verbindung der drei Brüder entstanden, was die aberwitzigen Chromosomen erklären würde. Die Episode bestätigt dies nie, es wird als unheimliches und unerklärtes Mysterium im Raum stehen gelassen. Der Fakt, dass einer der Brüder gleichzeitig der Vater der anderen beiden ist, ist eigentlich schon schaurig genug.

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Endlich mal Natur schnuppern! © FOX

Den Deputy (Sebastian Spence) erwischt es schließlich auch noch, als er versucht, das Horrorhaus zu betreten. Eine schusssichere Weste schützt eben nicht vor Fallen, die einem eine Axt in den Kopf jagen. Mulders gerissener Plan besteht daraufhin darin, die Brüder durch das Freilassen der Schweine aus dem Haus zu locken, um nach dem Entführungsopfer zu suchen. Im Inneren stellen sie anhand alter Familienfotos fest, dass genetische Mutation bereits seit Jahrzehnten in der Familie grassieren - und dass die auf einem Rollbrett unter dem Bett festgemachte Frau mit den amputierten Gliedmaßen tatsächlich Mrs. Peaco*ck ist, die aufgebracht schreiend den Wunsch äußert, es solle alles beim alten bleiben und die unbedingte Liebe zu ihren Jungs proklamiert.

Die Reaktionen von Scully und vor allem Mulder sind es, die auch im Zuschauer ein wahres Gefühl von Hilflosigkeit aufkommen lassen. Aliens, Vampire, Trolle, Sumpfmonster - alles kein Problem für Spooky Mulder, der sich mit sämtlichen Dingen der paranormalen Welt auskennt. Diese Szene lässt allerdings auch ihn, der schon alles gesehen hat und stets bereit ist, das Unwahrscheinliche einzuräumen, ungläubig werden.

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Mrs. Peaco*ck (Karin Konoval) © FOX

Bei der anschließenden Auseinandersetzung mit den Peaco*ck-Brüder wird angedeutet, dass die Mutationen sie auch kugelsicher oder zumindest schmerzresistent gemacht haben. Zwei von ihnen werden schließlich niedergestreckt, während der dritte mit der Mutter die Flucht ergreift. In einer typischen „X-Files“-Abschlussszene krabbelt der Überlebende schließlich aus dem Kofferraum eines Cadillacs (ein Symbol des amerikanischen Traums), während seine Mutter den Wunsch äußert, eine neue Familie mit ihm zu gründen zu wollen.

Fazit

Die Anmerkung „viewer's discretion is advised“ sollte ernstgenommen werden. Home ist starker Tobak voller unappetitlicher Bilder und noch alptraumhafteren Implikationen. Sie ist verstörend und grotesk und sicherlich nicht für jeden Zuschauer geeignet. Die Schonungslosigkeit, mit der das Inzest-Thema angegangen wird, macht die Episode aber auch so denkwürdig. Gleichzeitig finden sich hier einige der kunstvollsten Szenen der Serie wieder. Die bereits verstörende Intro-Szene, welche zum Teil aus der Perspektive des Kindes gezeigt wird, nannte Regisseur Kim Manners die schlimmste Szene seiner Karriere. Und die furchtbare Sequenz, in welcher der Sheriff und seine Frau ermordet werden, wurde aufgrund des Kontrasts zur unpassend platzierten Musik oft mit David Lynch (Twin Peaks) verglichen.

Es ist wirklich kein Wunder, dass die Episode auf ebenso leidenschaftliche Gegenwehr stieß. Die Autoren Glen Morgan und James Wong (zum ersten Mal seit Staffel zwei wieder an Bord) machen hier kein Geheimnis aus ihrer politischen Haltung. Aufgrund all dieser Elemente ist „Home“ ein Must-See - für jene, die es aushalten.

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Author: Sen. Emmett Berge

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